Brustkrebs ist kein Schicksal

Freitag, den 14. August 2009 um 23:44 Uhr Redaktion
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Für eine bessere und umfassendere Prävention!
 
Die Zahl der Frauen mit Brustkrebs ist in den vergangenen 30 Jahren in der gesamten Europäischen Union und in praktisch allen Industriestaaten (Ausnahme: Japan, Israel) dramatisch angestiegen. Ungefähr jede achte bis neunte Frau wird irgendwann in ihrem Leben die Diagnose “Brustkrebs” erhalten, verbunden in jedem Einzelfall mit großen Ängsten, mit Selbstzweifeln und der verzweifelten Fragestellung: Warum gerade ich? Man hat doch eigentlich ganz normal gelebt, sich sogar einigermaßen ordentlich ernährt, nicht geraucht, und doch!
 
Und nicht nur die Zahl der Frauen mit Krebs hat zugenommen, auch immer jüngere Frauen wurden in den letzten Jahren mit dieser erschreckenden Diagnose konfrontiert.
 
Von der einheimischen „Fondation luxembourgeoise contre le cancer“ die einen überaus zähen und bewundernswerten Kampf gegen den Zigarettenkonsum als Verursacher von vielen Krebserkrankungen führt, wird in Sachen Vorbeugung von Brustkrebs vor allem auf eine Reihe von ”klassischen”, individuellen Risikofaktoren hingewiesen: Erbfaktoren, frühzeitige Monatsblutung und später Eintritt in die Wechseljahre, späte Schwangerschaft oder Kinderlosigkeit, kein oder zu kurzes Stillen, sowie auf individuelle Lebensstilfaktoren: Gebrauch synthetischer Hormone zur Empfängnisverhütung oder zur Bekämpfung von Wechseljahrbeschwerten, aber die „Fondation luxembourgeoise contre le cancer“ warnt auch vor weiteren Risikofaktoren: ungesundes, zu fettes Essen, Übergewicht, übermäßiger Alkoholkonsum, zu wenig körperliche Bewegung … ja, und da wären auch noch Umwelt- oder Arbeitsplatzgifte, die aber allenfalls zwei bis drei Prozent der Risikofaktoren ausmachten und also total überschätzt würden.
 
Die „Fondation luxembourgeoise contre le cancer“ beruft sich dabei wahrscheinlich vor allem auf eine neue französische Studie von 2007: „Les causes du cancer en France“ (www.iarc.fr), publiziert von der französischen „Académie des sciences“, der „Académie des médecins“, der „Fédération nationale des centres de lutte contre le cancer“, dem CIRC in Lyon, alles illustre Namen von Institutionen, und trotzdem werden deren verharmlosende Schlussfolgerungen zu Recht von immer mehr unabhängigen und kritischen Medizinern und Wissenschaftlern weltweit in Frage gestellt.
 
Wenn zum Beispiel auf Seite 26 des französischen Berichts behauptet wird, „ Le lien causal de l’alimentation avec l’apparition d’un cancer n’est pas établi“, so ist dies nicht nur wenig glaubwürdig, sondern es widerspricht auch hunderten von internationalen epidemiologischen Studien, z. B. der publizierten Studie des WCRF (Fonds mondial de recherche sur la cancer) aus dem Jahr 2007, wo vor allem auf die negative Rolle eines zu hohen Konsums von rotem Fleisch, Fett und Fleischwaren („charcuterie“) hingewiesen wird.
 
Kritische Wissenschaft und Brustkrebsprävention
 
Immer mehr kritische Mediziner und Wissenschaftler weisen auch darauf hin, dass die vorher erwähnten „klassischen“ Risikofaktoren nicht ausreichen, um den rasanten Anstieg von Brustkrebs in den vergangenen 30 Jahren zu erklären. Auch genetische Faktoren, eine alternde Gesellschaft sowie verbesserte Detektionsmöglichkeiten könnten diese rapide Zunahme nicht hinreichend erklären.
 
ad 1) genetische Risikofaktoren
 
Es gilt als erwiesen, dass rund vier bis 5 Prozent der Frauen ein genetisch bedingt höheres Brustkrebsrisiko haben, weil sie mit anormalen, „mutierten“ BRCA-Genen belastet sind. Allerdings spielen auch bei solchen Frauen allgemeine Umweltfaktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle. So ergab z. B. eine im Jahr 2003 in „Science“ publizierte Studie, dass Frauen mit solchen anormalen BRCA-Genen, die vor 1940 geboren waren, ein „nur“ 24 Prozent höheres Risiko von Brustkrebs im Alter von 50 Jahren besaßen, während Frauen, die nach 1940 geboren wurden und in den 50er und 60er Jahren aufwuchsen, mit 67 Prozent schon ein viel größeres Risiko trugen. In eine ähnliche Richtung weist eine im Jahr 2000 im „New England Journal of Medicine“ publizierte „Zwillingsstudie“ aus Schweden, Dänemark und Finnland, die schlussfolgerte, dass rund 73 % aller Brustkrebsfälle umwelt- und zivilisationsbedingt seien.
 
Und schließlich gibt es die Beispiele Japans und Israels.
 
Japanische Frauen haben viel weniger Brustkrebs, aber in die USA ausgewanderte Japanerinnen hatten nach einer oder zwei Generationen dasselbe Brustkrebsrisiko wie die amerikanischen Frauen, was für Umwelt- und Zivilisationsfaktoren spricht. In Israel konnte Anfang der 90er Jahre die ansteigende Kurve von Brustkrebserkrankungen erstmals abgeschwächt werden, nachdem um 1980 die israelische Regierung den Einsatz von verschiedenen Pestiziden und Insektiziden in landwirtschaftlichen Genossenschaften verboten hatte.
 
ad2) Mehr Krebs, mehr Brustkrebs, weil Frauen älter werden? Alter als unausweichlicher Risikofaktor?
 
Auch dieser These wird heute zum Teil immer stärker widersprochen, zum einen, weil insgesamt auch immer häufiger schon Kinder und Jugendliche von Krebs (Leukämie, Hirntumoren) betroffen werden (1,5% mehr alljährlich im europäischen Durchschnitt), zum zweiten, weil gerade auch immer häufiger schon jüngere Frauen Brustkrebs bekommen. Auch das Alter, die zugenommene Lebenserwartung allein können die drastische Zunahme der Erkrankungen nicht erklären. Das Alter könnte eventuell dadurch eine höhere Anfälligkeit für Brustkrebs mit sich bringen, dass sich einerseits die Expositionszeit gegenüber Umweltgiften oder Zivilisationsfaktoren verlängert, während umgekehrt das Immunsystem schwächelt und zellspezifische Reparaturmechanismen allmählich abnehmen.
 
Umwelt- und Arbeitsplatzbelastungen und Brustkrebs
 
Kritische Wissenschaftler, Krebsspezialisten und Umweltmediziner gehen heute davon aus, dass alle „klassischen“ Risikofaktoren zusammengenommen (inklusive Rauchen) kaum mehr als die Hälfte der Krebserkrankungen zu erklären vermögen und dass umgekehrt also auch rund die Hälfte der Erkrankungen auf Umwelt- oder Arbeitsplatzfaktoren zurückzuführen sind. In der Tat gibt es eine ganze Reihe Stoffe, Schwermetalle, aromatische Kohlenwasserstoffe, chlororganische Pestizide usw., mit denen wir heute, ob in der Arbeitswelt, im Büro, in Haushalt oder Freizeit tagtäglich in Kontakt kommen und die laut offiziellen Angaben nachweislich krebserregend sind, ob PAK oder Formaldehyd, ob Arsen oder Nickel, ob PCB, Dioxine, radioaktive Strahlung und andere mehr. Und viele weitere Substanzen stehen unter dem dringenden Verdacht, schon bei geringsten Dosen Krebs auslösen oder fördern zu können.
 
Weil wir Menschen tagtäglich einem komplexen „Cocktail“ von solchen Substanzen ausgesetzt sein können – Zigarettenrauch z. B. ist eigentlich nur ein Gemisch aus vielen solchen Substanzen – und weil solche Umweltgifte sich in unserem Organismus, bei Frauen vor allem im Fettgewebe der Brust immer stärker anreichern, ist es eigentlich verwunderlich, wieso von offiziellen Institutionen oder Akademien der Faktor Umwelt- und Arbeitsplatzgifte weiterhin so sträflich vernachlässigt wird, denn gerade auch auf diesem Gebiet könnte doch durch eine mutige Präventionspolitik (Reduktion oder Verbote solch gefährdender Substanzen!) viel menschliches Leid verhindert werden.
Oder stehen heute etwa die Wachstums- und Profitinteressen einzelner Industriesektoren vor dem berechtigten Schutz des Lebens? Brustkrebs bei Frauen, Krebs schon bei Kindern als Resultate einer rücksichtslosen Chemikalien- und Pestizidpolitik, als Resultat fehlender Vorsorge in Sachen physikalischer Strahlungsrisiken?
 
Zum Beispiel Schwermetalle!
 
In einer neueren Studie, die in Nummer 4/2006 der umweltmedizinischen Zeitschrift „umwelt-medizin-gesellschaft“ veröffentlicht wurde, berichten J. G. Ionescu et al. erstmals über eine erhebliche Anreicherung von Eisen, Nickel, Quecksilber, Blei, Cadmium, Chrom und Zink im Brustkrebsgewebe von 20 Frauen im Vergleich zur Kontrollgruppe! Nickel, Chrom und Cadmium sind nachgewiesene Mutagene und Karzinogene, die anderen stehen unter begründetem Verdacht, und der größte Teil davon ist in Amalgam oder Brücken-, Kronen-Material im Mundbereich oftmals eingebaut. Weil diese Schwermetalle eng verbunden sind mit einer erhöhten Produktion freier Radikale, mit Lipidperoxidation, DNA-Spaltung, mit Mutationen sowie Tumorwachstum in zellulären Systemen, müssten eigentlich doch endlich auch offizielle Krebsforschungszentren solchen ernsthaften Hinweisen nachgehen, um präventiv agieren zu können.
 
Zum Beispiel östrogenimitierende Chemikalien („endocrine disrupters“)
 
Von manchen der obengenannten Schwermetallen ist bekannt, dass sie zusätzlich östrogenimitierende Wirkungen entfalten können. In noch stärkerem Verdacht stehen dabei aber noch viele andere chemischen Substanzen, vor allem aus dem chlororganischen Bereich. So gelten zum Beispiel das in Häusern immer noch anzutreffende DDT und andere Pestizide wie Methoxychlor oder pyrethroide Insektizide als „endocrine disrupters“, weil sie auf den Östrogenrezeptor von Frauen einwirken, ähnliche Wirkungen sind bekannt von PCBs und Dioxinen, aber auch von weniger bekannten chemischen Substanzen wie Bisphenol A, Parabenen oder Alkylphenolen, wie sie vor allem in Plastikbehältern, Deodorants, Toilettenartikel, Detergentien oder Stoffoberflächenbehandlungen enthalten sein können.
 
Auch solche Stoffe, ob DDE, PCBs oder die genannten neueren Chemikalien lassen sich in Gewebeproben von Tumoren verstärkt nachweisen, z. B. in einer spanischen Studie von 2004: „Breast cancer risk and the combined effect of environmental oestrogens“. (Cancer Causes Control, 15 pp 591-600)
 
In einer neuen amerikanischen Studie (2007) wird präzisiert, dass die DDT-Exposition besonders gefährlich sei für Mädchen während der Pubertät, während für andere „hormonimitierende Chemikalien“, wie z. B. Bisphenol A, vor allem die Belastung des Foetus während der Schwangerschaft zu höheren Brustkrebsrisiken der Tochter im späteren Leben führen kann. Der östrogenimitierende Charakter vieler Chemikalien, die Gesamtheit, der „Cocktail“ solcher Chemikalien im Niedrigdosisbereich sowie der Zeitpunkt der Exposition scheinen also Ausgangspunkt vieler neuerer Brustkrebserkrankungen zu sein, die demnach nur durch eine mutige und präventive neue Chemikalienpolitik verhindert werden können.
 
Im vergangenen Jahr wurde auf europäischer Ebene die neue Chemikalienrichtlinie „Reach“ durchgesetzt, ein erstes positives, aber ungenügendes Zeichen, das von der Politik gesetzt wurde und wo aufgrund der hormonell wirksamen Chemikalien noch dringend nachgebessert werden müsste.
 
Wer sich darüber und die damit verbundenen Brustkrebsrisiken (auch über andere hormonabhängige Krebsarten) genauer informieren möchte, dem sei auch die neueste Studie zum Thema empfohlen: „ Breast Cancer and exposure to hormonally active chemicals: An appraisal of the scientific evidence“ von Professor Andreas Kortenkamp, Leiter des Toxikologischen Zentrums an der London School of Pharmacy.
 
Nachzulesen unter (http://www. chemtrust.org.uk/ ) ^
 
Jean Huss
Präsident von AKUT
www.akut.lu ^
 
 
Weiterführende Links
 
   ^ Umwelt-Medizin-Gesellschaft (UMG)
   ^ Spezialklinik-Neukirchen (SKN)
   ^ AKUT